Prof. Harald A. Euler, Ph.D., geb. 1943, hat seine Masterarbeit 1970 in den USA über Stottern geschrieben, war seit seinem 30. Lebensjahr Professor für Psychologie in Kassel (seit 2009 pensioniert und Gastprofessor Uni Wien), und hat seit 1995 die Kasseler Stottertherapie wissenschaftlich beraten. Er ist Autor bzw. Koautor von etwa 30 Publikationen zu Stottern und ist Koautor der medizinisch-wissenschaftlichen Leitlinie »Redeflussstörungen«. Er vertritt leidenschaftlich evidenzbasierte Therapie und lehnt folglich meinungsbasierte (»Meine Erfahrung ist aber …«) und eminenzbasierte Ansätze (»Aber wie Freud schon richtig sagte, …«) ab.

Bislang liegen über ein Dutzend Zwillingsstudien aus den letzten 70 Jahren über Stottern vor, aus verschiedenen Ländern, mit Stichprobengrößen bis zu 35000 Zwillingen. In ihren Ergebnissen und Schlussfolgerungen sind diese Studien – für wissenschaftliche Untersuchungen nicht unbedingt die Regel – erstaunlich übereinstimmend. Stottern hat eine sehr hohe Erblichkeit (»Heritabilität«), nämlich 70 – 85%.

Eine Ursache lässt sich, übereinstimmend aus allen Untersuchungen, mit großer Sicherheit ausschließen: Frühkindliche familiäre Erfahrungen spielen keine Rolle bei der Entstehung des Stotterns. Der elterliche sprachliche oder sonstige Umgang mit dem Kind hat das Stottern nicht hervorgebracht. Die Eltern trifft keine »Schuld«, außer ihrer genetischen Mitgift.

Der Hauptgrund, warum bis zum heutigen Tage die elterlichen Erziehungseinflüsse nach wie vor als Stotterursache angesehen werden, ist folgender. Die Wissenschaften über menschlichen Verhaltens sind im vorigen Jahrhundert besonders von zwei dominierenden Personen geprägt wurden. Da beide Personen am Anfang des vorigen Jahrhunderts ihre Hauptwirkung hatten, als man von Genen noch kaum was wusste und Zwillingsuntersuchungen noch nicht üblich waren, haben es alle geglaubt – mich eingeschlossen. Seit etwa 1980 wurden diese Fehlschlüsse nach und nach entlarvt.
Fazit: Stotternder zu sein ist einfach genetisches Schicksal. Was nicht heißt, dass man daran nichts ändern kann. Aber man sollte Eltern von stotternden Kindern, besonders Mütter, die sich Selbstvorwürfe machen (»War ich vielleicht zu streng, oder zu nachgiebig, zu überbehütend oder zu vernachlässigend?«) möglichst überzeugend beruhigen.